Die johanneischen Schriften sind bekanntlich sehr tiefgründig und es gibt immer mal wieder etwas Neues, was sich darin entdecken lässt. So ging es mir auch neulich, als ich durch persönliche Erlebnisse auf eine dieser Bibelstellen gestoßen wurde und mir Dinge gezeigt wurden, die ich vorher noch nicht wusste. Speziell die Wunderheilungen werden bei Johannes mit viel Liebe zum Detail und ausführlich beschrieben, so dass ich schon immer den Eindruck hatte, dass es hier etwas zu verstehen gibt und dass es sich nicht nur um historische Zeugnisse handelt.
Heute geht es um die bekannte Heilung des Blindgeborenen in Johannes 9. Hier muss ich nun aber gleich etwas weiter ausholen, weil mein Übersetzungstext nicht die traditionelle Kapiteleinteilung aus dem Mittelalter verwendet, sondern auf Basis der 10 Gebote eingeteilt ist. Diese stellen nach meinem Textverständnis die ursprüngliche Struktur des Textes dar. Demnach fällt Johannes 9 auf das fünfte Gebot (Du sollst Vater und Mutter ehren).
Als er weitergegangen war, sah er einen Menschen, der von Geburt an blind war. Da fragten ihn seine Schüler: „Rabbi, wer hat gesündigt: dieser [hier] oder seine Eltern, dass er blind geboren wurde.“ Jesus antwortete ihnen: „Nicht dieser [hier] hat gesündigt und auch nicht seine Eltern, sondern [es ist so], damit die Werke Gottes an ihm sichtbar werden. Ich muss die Werke desjenigen, der mich gesandt hat, vollbringen, solange es Tag ist. Es kommt die Nacht, in der niemand etwas tun kann. Solange ich in der Welt bin, bin ich das Licht der Welt.“ Als er dies gesagt hatte, spuckte er auf die Erde, machte aus dem Speichel einen Brei und bestrich die Augen des Blinden mit dem Brei. Und er sagte zu ihm: „Geh fort, wasche dich im Wasserbecken Siloam (σιλωαμ), was übersetzt Abgesandter bedeutet. Er ging also fort, wusch sich und konnte wieder sehen. Da sagten seine Nachbarn und diejenigen, die ihn früher als Bettler gesehen hatten: „Ist das nicht derjenige, der dasaß und bettelte?“ Andere sagten: „Er ist es.“ Die Übrigen sagten: „Er sieht ihm ähnlich.“ Jener aber sagte: „Ich bin [es].“ Da sagten sie zu ihm: „Wie sind dir die Augen geöffnet worden?“ Er antwortete: „Der Mensch, den sie Jesus nennen, hat einen Brei gemacht und mir damit die Augen bestrichen, und er hat zu mir gesagt: „Geh fort zum Wasserbecken Siloam und wasche dich.“ Ich bin also weggegangen und als ich mich gewaschen hatte, konnte ich wieder sehen.“ Da sagten sie zu ihm: „Wo ist er?“ Er sagte: „Ich weiß es nicht.“
Der Text macht durch die Frage der Jünger gleich zu Beginn klar, dass die Eltern und die Erbsünde hier eine wichtige Rolle spielen. Die Jünger sehen die Blindheit des Mannes traditionell als Resultat einer Sünde an. In diesem Fall stellt sich allerdings die Frage nach dem Verursacher. Kann es der Mann selbst gewesen sein, wenn er schon mit dieser Krankheit geboren wurde, oder müssen es nicht vielmehr seine Eltern gewesen sein. Jesus Christus erkennt es jedoch sofort als Hinweis Gottes zur Verherrlichung. Jesus Christus ist das Lamm Gottes, das die Sünden, der Welt wegnimmt und außerdem das Licht der Welt, das den Menschen Licht gibt. Dieser Mann hatte das Licht besonders nötig und Jesus Christus hatte nun die Gelegenheit, sich als Sohn Gottes vom Heiligen Geist verherrlichen zu lassen.
Gehen wir zum Anfang des Johannesevangeliums zurück:
Es wurde ein Mensch geboren, von Gott gesandt, Johannes mit Namen. Jener kam als Bekenner/Zeuge, um das Licht zu bekennen/bezeugen, damit alle durch ihn glauben mögen. Nicht jener war das Licht, sondern [er war da,] um das Licht zu bekennen/bezeugen. Das wahrhaftige Licht, das allen Menschen Licht gibt, kam in die Welt. In der Welt war es und die Welt war von ihm durchdrungen (δια τινος γιγνεσθαι), doch die Welt erkannte es nicht. In das Eigene kam es, doch die Eigenen nahmen es nicht an (παρ-ελαβον). Jenen aber, die es [auf]nahmen (ελαβον), gab es die Macht, Kinder Gottes zu werden, denen, die an seinen Namen glaubten, nicht denen, die einer Blutlinie angehörten und auch nicht denen, die von fleischlichem Willen oder von männlichem Willen gezeugt waren, sondern denen, die von Gott abstammten. Da zeigte sich[e] das Gebot (λογος) in einem [menschlichen, sterblichen] Körper (σαρξ, Fleisch) und wohnte unter uns. Wir sahen seine Herrlichkeit (δοξαν), [die] Herrlichkeit (δοξαν) eines allein von Gott Abstammenden, erfüllt von Gnade und Wahrheit.
Hier wird das Neue und Außergewöhnliche am christlichen Glauben erklärt, dass man nämlich durch die Aufnahme von Jesus Christus als göttlichem Logos selbst zu einem Kind Gottes werden und seine rein menschliche Natur hinter sich lassen kann. Dies geht Hand in Hand mit der Taufe, die nicht nur eine Vergebung der Sünden bewirkt, sondern auch den Heiligen Geist gibt:
Folgendes ist Johannes Bekenntnis: Als die Juden aus Jerusalem Priester und Leviten zu ihm sandten, fragten sie ihn: „Du! Wer bist du?“. Er bekannte, ohne zu verleugnen. Er bekannte: „Nicht ich bin der Gesalbte.“ Sie fragten ihn: „Wer dann? Bist du Elias („der Mächtige“/Gott/„Gott [ist] Ich bin“)?“ und er sagte: „Nicht ich bin, der ich bin.“ [Und sie fragten:] „Bist du der Prophet?“ und er antwortete: „Nein.“ Da sagten sie zu ihm: „Wer bist du? [Sag es uns], damit wir denen antworten können, die uns gesandt haben. Was sagst du über dich selbst?“ Er antwortete: „Ich bin eine Stimme, die in der Wüste ruft: Macht den Weg des Herrn eben, was auch der Prophet Jesaja gesagt hat.“ Doch sie waren Abgesandte von den Pharisäern und fragten ihn: „Weshalb tauchst du dann ein (βαπτιζεις, taufen), wenn du weder der Gesalbte noch Elias noch der Prophet bist?“ Johannes antwortete ihnen: „Ich tauche in Wasser ein. Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt. Er kommt nach mir und hat doch Vorrang vor mir. Ich bin nicht würdig, ihm seine Schnürsenkel zu lösen (wörtl.: die Bekleidung seiner Sohlen).“ Dies geschah in Bethabara, jenseits des Jordan, wo Johannes taufte.
Jesus Christus nimmt nun analog zur Erschaffung des Menschen in Genesis ein Stück Erde und vermischt dies mit seinem Speichel. Dies ist also ein Stück seines Körpers, der auf die kranke Stelle des Körpers des Blinden aufgetragen wird, den er von seinen leiblichen Eltern bekommen hat. Der Speichel hat aber nicht die Funktion des Geistes aus Genesis, diese Gabe erfolgt erst am Teich Siloah. Mit diesem Gemisch eines ungetauften Körpers bestreicht er die Augen des Blinden und schickt ihn zum Teich Siloah, um sich zu waschen. Dies ist allerdings keine gewöhnliche Waschung, sondern eine Taufe, die den Blinden von seinen Sünden befreit. Jesus Christus nimmt dabei die Sünden des Täuflings auf sich, die bei der Taufe abgewaschen und getilgt werden. Gleichzeitig wird Jesus Christus durch den Heiligen Geist, der in Siloah wirkt, als Sohn und Abgesandter Gottes verherrlicht. Dass der Blinde Mann nun außerdem den Heiligen Geist besitzt, wird durch seine anschließende Verehrung Jesus Christ deutlich:
Jesus hörte, dass sie ihn hinausgeworfen hatten, und als er ihn fand, sagte er zu ihm: „Glaubst du an den Sohn Gottes?“ Jener antwortete: „Wer ist es, Herr, damit ich an ihn glaube?“ Da sagte Jesus zu ihm: „Sowohl ( και … και) derjenige, den du gesehen hast, als auch derjenige, der mit dir spricht, jener ist es.“ Da sagte er: „Ich glaube, Herr.“ Und er warf sich zur Anbetung vor ihm nieder.
Es handelt sich also um ein Zeichen der zukünftigen Gotteskindschaft und der Gabe des Heiligen Geistes, die noch vor der Kreuzigung stattfand. Hierzu war zu diesem Zeitpunkt noch der Gang zum Teich Siloah erforderlich.
Aber am letzten Tag, dem Höhepunkt des Festes, stellte sich Jesus hin und rief: “Wenn jemand Durst hat, soll er zu mir kommen und trinken. Wer an mich glaubt [wird sein] wie die Schrift gesagt hat: Flüsse lebendigen Wassers werden aus seinem Innern heraus fließen.“ Das sagte er über den Geist (πνευματος), den diejenigen, die an ihn glauben, aufnehmen sollten. Es war noch kein heiliger Geist da, weil Jesus noch nicht gerühmt (εδοξασθη) war.