Der erste Abschnitt von Bonhoeffers Essay „Wer hält stand?“ ist aus meiner Sicht am interessantesten und hoch aktuell: „Die große Maskerade des Bösen hat alle ethischen Begriffe durcheinander gewirbelt. Daß das Böse in der Gestalt des Lichts, der Wohltat, des geschichtlich Notwendigen, des sozial Gerechten erscheint, ist für den aus unserer tradierten ethischen Begriffswelt Kommenden schlechthin verwirrend; für den Christen, der aus der Bibel lebt, ist es gerade die Bestätigung der abgründigen Bosheit des Bösen.“ Denjenigen, die das dritte Reich nur aus bundesdeutschen Schwarz-Weiß-Filmen mit trübsinniger Filmmusik kennen, mag dies absurd erscheinen. Die Deutschen des dritten Reiches waren aber nicht dümmer als die heute lebenden Menschen, sondern lediglich einer Form von medialer Propaganda ausgesetzt, die das Böse als etwas Gutes, als Wohltat schmackhaft machte und die meisten Menschen haben dies einfach so geschluckt und wehe, wenn es einer nicht geschluckt hat.

Die Verwirrung von ethischen Begriffen wie Toleranz, Diskriminierung etc. durch Ideologen ist auch heutzutage zu beobachten, ebenso das Gerede von sozialer Gerechtigkeit als Vorwand zur Beschneidung von Recht und Freiheit. Bonhoeffer geht in den nachfolgenden Abschnitten seines Essays auf die Versuche der damals lebenden Bürger zum Widerstand gegen dieses maskierte Böse ein und erklärt, warum all die Versuche, mittels Vernunft, Prinzip, Gewissen, Freiheit oder Tugend zu widerstehen, fehlgeschlagen sind. Auf die heutige Zeit übertragen bedeutet dies, dass z.B. die Versuche, den Mord an Ungeborenen oder die Umerziehung durch Gender-Mainstreaming mittels bürgerlicher Werte und Tugenden zu verurteilen und zurückzuweisen, politisch nicht erfolgreich sein werden. Die Frage ist jedoch, ob man die Verhältnisse von damals mit den heutigen vergleichen kann. Dies muss jeder für sich entscheiden.

Laut Bonhoeffer hängt das Scheitern seiner Generation damit zusammen, dass die deutsche Gesellschaft die abgrundtiefe Bösartigkeit dieser Vorgänge nicht durchschaute und meinte, dass es sich um menschengemachte Probleme handelte, während in Wahrheit das unsichtbare Böse im Hintergrund seine Fäden zog und nicht direkt greifbar war, z.B.: „Erschütternder ist das Scheitern alles ethischen Fanatismus. Mit der Reinheit eines Prinzips meint der Fanatiker der Macht des Bösen entgegentreten zu können. Aber wie der Stier stößt er auf das rote Tuch statt auf dessen Träger, ermüdet und unterliegt. Er verfängt sich im Unwesentlichen und geht dem Klügeren in die Falle.“ Der Apostel Paulus hat dies im Epheserbrief in ähnlicher Form gelehrt: „Denn wir haben nicht mit Wesen (oder: Gegnern) von Fleisch und Blut zu kämpfen, sondern mit den (überirdischen) Mächten, mit den (teuflischen) Gewalten, mit den Beherrschern dieser Welt der Finsternis, mit den bösen Geisterwesen in der Himmelswelt.“

So weit, so gut. Fremdartig erscheint mir dagegen die Ethik des „Vorletzten“. Diese Ethik hat vermutlich auch eine Rolle bei Bonhoeffers Beteiligung am Mordkomplott gegen Hitler gespielt. Nicht, dass eine solche Beteiligung aus menschlicher Sicht unverständlich oder rundweg abzulehnen wäre, allerdings verstößt sie gegen Bonhoeffers Einsicht, dass wir es nicht mit Gegnern aus Fleisch und Blut zu tun haben und natürlich auch gegen das Gebot, nicht zu töten. Der Glaube an Jesus Christus und das Halten seiner Gebote in dieser gefallenen Welt wird letztlich zum Sturz des Bösen führen, da sich dann seine Anklage der Menschen vor Gott als haltlos erweisen wird: „Da hörte ich eine laute Stimme im Himmel rufen: »Jetzt ist das Heil, die Macht und die Königsherrschaft an unsern Gott gekommen und die Herrschergewalt an seinen Gesalbten! Denn hinabgestürzt ist der Ankläger unserer Brüder, der sie vor unserm Gott verklagt hat bei Tag und bei Nacht. Diese haben ihn um des Blutes des Lammes und um des Wortes ihres Zeugnisses willen überwunden und haben ihr Leben nicht geliebt bis zum Tode. Darum freuet euch, ihr Himmel und die ihr in ihnen wohnt!“ Durch solch mutiges christliches Zeugnis werden die Verhältnisse auf der Welt allerdings nicht besser, sondern zunächst mal noch viel schlimmer werden. Dann wird hier buchstäblich der Teufel los sein: „Wehe aber der Erde und dem Meer! Denn der Teufel ist nun zu euch hinabgekommen und hegt gewaltige Wut, weil er weiß, daß seine Zeit nur noch kurz bemessen ist.«“.